Samstag, 3. Februar 2018

Interview zum Thema "Ultralaufen"

KURIER-Journalistin Natascha Marakovits alias Lauf-Bloggerin RunNa hat sich mit dem Thema "Ultralaufen" beschäftigt und sich dazu auch ein paar Infos von mir geholt.

Den Artikel mit aus Platzgründen gekürzten Aussagen darüber findet ihr hier: https://kurier.at/wellness/runna-90-prozent-mental-der-rest-ist-im-kopf/309.336.087

Und nachstehend die ungekürzte Fassung, wen es interessiert, was ich sonst noch so erzählt habe:

Natascha: Seit wann machst du eigentlich Ultras und wie bist du dazu gekommen?
Martin: Seit 2010 sehe ich mich als wirklichen Ultraläufer. Damals startete ich erstmals relativ spontan bei einem 24h-Stundenlauf, da meine liebe Frau Carola in einer 24-Stunden-Mega-Damenstaffel in Irdning lief und ich nicht einfach nur zusehend am Streckenrand stehen wollte. Ziemlich unvorbereitet, die längsten Distanzen bis dahin waren der Veitscher Grenzstaffellauf über 54km sowie der Rennsteiglauf über 72,7km, die beide auch "nur" mit Marathonerfahrung zu finishen möglich waren. In Irdning wurden es dann 127,9km. Aber auch knapp über EUR 800,- wurden für meine absolvierten Kilometer aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis für den guten Zweck gespendet und damit war meine seit nun 2010 jährliche Benefizaktion "Martin läuft 24 Stunden (und mehr)" geboren. [Anm. mehr dazu unter http://martin24h.jimdo.com ]. Seit 2010 hat sich das sehr erfreulich entwickelt und bisher konnte ich über EUR 36.000,- erlaufen. Jedenfalls hatte mich von da an die Faszination 24-Stundenlauf gepackt und der Ehrgeiz, dass da noch mehr Kilometer möglich sein müssten. Mittlerweile steht meine 24-Stunden-Bestleistung bei 193,1km.

Natascha: Wieviele Ultras und welche Distanzen hast Du bisher absolviert?
Wieviele Ultras ist schwer zu beantworten, weil ich es für mich selbst gar nicht zähle, da es mir nicht wichtig ist - ebensowenig wie die Anzahl von absolvierten Marathons. Aber lass' mich nachschauen: "die" Ultrastatistik-Seite unserer deutschen Freunde statistik.d-u-v.org weist für mich (https://statistik.d-u-v.org/getresultperson.php?runner=14351) jedenfalls bisher 46 gewertete Läufe über zumindest 50km aus, wobei die Bandbreite bei mir von 50km bis zu 48h-Läufen reicht. Mein Schwerpunkt sind zeitbegrenzte Läufe wie 6h, 12h, 24h und 48h-Läufe. Ich laufe dabei auf kurzen Asphaltrunden (1-2km), also keine Ultratrailläufe oder Läufe wie die 100km von Biel, Berliner Mauerweglauf (100 Meilen), wo es in einer großen Runde dahingeht oder man von A nach B läuft. 

Natascha: Was macht den Reiz für dich aus?
Martin: Die Herausforderung, mich selbst zu besiegen und dass es für mich vor und nach dem 24/48h-Lauf nicht vorstellbar ist, wie man - also konkret ich - die Distanz absolvieren konnte, aber es eben doch möglich ist. Dazu kommt auch die extrem familiäre Atmosphäre, da speziell beim Rundenultralauf viele LäuferInnen WiederholungstäterInnen sind und sich die Gemeinschaft daher gut kennenlernt - man hat ja in 24 bis 48 Stunden auch einiges an Zeit, sich kennenzulernen, da man sich immer wieder gegenseitig überholt und überrundet. Auch der Respekt vor der jeweiligen erbrachten Leistung ist extrem hoch, weil egal ob Du 100km in 24h schaffst oder 250km - man muss es erst einmal schaffen, sich 24h lang zu bewegen. Außerdem hat auch der beste mal ein Tief aus dem ihm dann auch ein schwächerer heraushelfen kann, wenn man mal ein paar Minuten nebeneinander trabend plaudert. Letztlich sehe ich es auch als perfekten Ausgleich zum langen Sitzen im Bürojob und damit als langfristige Gesundheitsvorsorge, die mir im Alter hoffentlich die klassischen Herz-/Kreislaufprobleme erspart. Die immer wieder gehörten Bedenken des Gelenksverschleisses kann ich bis jetzt nicht nachvollziehen. Und auch die Wissenschaft ist sich da - wohl ein Probandenpopulationsproblem - nicht einig, jedenfalls denke ich, dass man immer noch bessere Chancen hat, mit einem künstlichen Hüftgelenk problemlos zu leben und eine Reha zu schaffen als mit Stent, verkalkten Arterien oder ähnlichem.

Natascha: Was ist der Unterschied im Vergleich zu anderen Läufen bzw. vor allem auch zum Marathon. Oft ist ja das die Schwelle - einmal über die Marathondistanz hinaus...
Martin: Im Vergleich zu herkömmlichen Straßenläufen wie 10km bis Marathon: es geht einfach entspannter zu - kein Drängeln & Rempeln am Start, keine "Musterung" a la "in welcher Pace auf die Sekunde genau läufst Du los?", meist will nicht mal jemand in der ersten Startreihe stehen. Da gibt's auch herrliche Startfotos, wo die Läufer teilweise beim Startschuss nicht mal alle nach vorne schauen sondern noch miteinander tratschen. D.h. aber nicht, dass es keinen Ehrgeiz gibt - klar hat jeder seine - teils auch sehr hoch gesteckten - persönlichen Ziele, aber ohne die Verbissenheit, die sonst oft bei Läufen zu beobachten ist. Wahrscheinlich ist das aber auch eine Folge der eher kleinen Community, weil ähnliches kann man auch bei Insider-Veranstaltungen wie der "WLV Winter-Crosslauf-Serie" erleben, wo sich das Starterfeld praktisch auch komplett kennt.

Natascha: Wie schaut dein Training aus? Ich habe letztens auf Facebook gesehen 70 km am Laufband??
Martin: Derzeit läuft das Training für einen 48h-Sololauf auf der Laufbahn und da ist "Trainingsplan" ein spannendes Thema, weil für Distanzen über 100km gibt's keine wirkliche Trainingslehre mehr - wohl wieder aus Mangel an Probanden. So muss jeder für sich herausfinden, was funktioniert. Ideen sind Doppeldeckereinheiten ("Back-to-back") am Wochenende wie z.BB zwei Marathons in zwei Tagen, oder gesteigert auf 50/50km, usw. Oder ein überlanger Lauf wie z.B. 70-100km an einem Tag pro Woche. Auch einen 12h-Lauf in der Vorbereitung einzubauen bietet sich an. Periodisierung in Blöcken zu 3 Wochen Belastung, 1 Woche Entlastung oder besser verkraftbar 2 Wochen Belastung, eine Woche Entlastung. Ab und zu eine moderate Tempoeinheit wie ein 5-10km Wettkampf tut auch gut, um in den Ultraschlapfschritt wieder etwas Dynamik zu bringen. Dazu noch 1-2x die Woche Rumpf-Stabi-Training. Also nicht so unähnlich einem Marathontraining, nur dass die Intensität im ganz schnellen Bereich wegfällt. Das hält man bzw. ich beim Wochenumfang kaum orthopädisch aus und die langen Läufe länger und langsamer sind. Statt 45-60 Sekunden über Marathon-Pace, eher im Bereich 60-90" pro km. In Summe habe ich ca. 3.000 Trainingskilometer in knapp über 5 Monaten - von Anfang Dezember bis Mitte Mai - am Plan. Mein Belastungswochenumfang liegt dabei bei ca. 150-200km, wobei es den schönen Spruch gibt, dass der Umfang nicht dadurch begrenzt ist, wie lange man laufen kann, sondern wieviel Zeit man fürs Laufen hat - neben Job, Familie, etc. Weil es ist ja ein schönes, aber doch nur ein Hobby und praktisch kein Ultraläufer kann ausschließlich davon leben - in Österreich schon gar nicht. In dieser Saison verfolge ich wieder das Konzept mit einem überlangen Lauf in der Woche, d.h. zumindest 70km, wird aber gesteigert auf bis zu 100km-Läufe im Training. Gerne auch mal solange es kalt ist und die Brunnen abgedreht sind am Laufband, da damit die Versorgung im Training mit v.a. Flüssigkeit oder WC einfacher ist. Aber solche langen Läufe im Tempo zwischen 5:35-5:50min/km lassen sich auch für andere gut in ihr (Ultra)Marathontraining als Long-Jog einbauen, sodass ich auch immer wieder Begleitung finde, wenn ich so einen langen Lauf im Freien mache - zuletzt im Jänner als "Keksgewissenslauf" tituliert ;-) [Anm.: und im Blog zu finden]

Natascha: Und wie wichtig ist der Kopf, die mentale Stärke? Was ist leichter zu überwinden - der Körper (also die Schmerzen) oder der Kopf?
Martin: Kurze Antwort (Quelle unbekannt, wird vielen zugeschrieben): "Ultrarunning is 90% mental and the rest is in your head" :-) ... also ja, ohne den Kopf geht gar nix, weil - wie ein weiser Freund feststellte - muskuläre oder Sehnenprobleme verringern zumindest anfangs nur den Komfort, aber nicht die Fähigkeit sich weiterzubewegen. Wenn der Kopf aber mal sagt, "Pause", dann helfen Dir die fittesten Beine nichts. V.a. nicht nach vielen Stunden und in der Nacht, wenn der Biorhythmus Dich zum Schlafen zwingen möchte. Für mich am Wichtigsten, aber auch am Schwersten, ist es, so oft als möglich im absoluten Hier und Jetzt und nirgends anders zu sein, einfach nur fokussiert auf die nächste kurze Runde, die nächsten Meter bis beispielsweise zur Labe. Das ist dann kein Runners-High, sondern am ehesten Tagträumen und ein Zustand der absoluten Entspanntheit, den wohl jeder Läufer schon mal erlebt hat, dass er so in Gedanken oder auch Gedankenleere versunken war, dass man nicht mehr weiß, wie man die letzten 500m zurückgelegt hat. Man darf also nicht an das bereits Absolvierte, wobei das noch Ungefährlicher ist, und schon gar nicht an das noch vor einem Liegende denken. Nach 10h zu denken "noch 38h" macht Dich platt. Auch versuche ich nicht groß darüber nachzudenken, wie es mir geht - daher ist auch die Zuschauerfrage "Wie geht's?" die zweitschlimmste für mich, nur noch gesteigert von "Tut was weh?" - klar tut es das, weil nach Hausnummer 14 Stunden nix von der Anstrengung zu spüren wäre ja nicht normal. Ausnahmen zur Körperbefragung sind nur Energielevel und Hydrierungszustand, d.h. muss ich mehr/weniger essen, trinken, wie schaut's mit Elektrolyten - v.a. Salz - aus, aber da verliere ich nach etwa 10-12 Stunden auch das Körpergefühl und umso wichtiger ist mein Betreuerteam, das dann abschätzt, was ich brauche. Während der Ultraläufe lernt man auch viel über sich selbst, wie man mit Tiefs umgeht und diese löst, wo der Körper gut auf Akkupressurpunkte anspricht, wie man Schmerzen "umlenken" kann - fest in den Finger beißen bis es schmerzt lässt bisher schmerzende Stellen schmerzfrei werden - und wie stark man auf positive Stimuli, das können ganz einfache Sachen wie ein Lächeln oder ein "Bist Du heute stark drauf!" sein, vom Kopf her reagiert. Genauso lernt man aber auch die Unfähigkeit des Gehirns kennen, nach vielen vielen Stunden mit Verneinungen umzugehen und ein gut gemeintes "Nicht nachlassen, ist nicht mehr lang!" lässt einen manchmal rundenlang über "nachlassen, es ist noch so lang" grübeln. Hier heißt es dann, sich schnell auf anderes, positives, zu konzentrieren oder sich sonst irgendwie abzulenken: plaudern, kopfrechnen, Laternenmasten zählen, Zuschauer anfeuern, ... Aber da entwickelt jeder seinen eigenen Zugang. Einmal im Jahr habe ich dann auch die mentale Motivation, dass ich ja nicht nur für mich laufe, sondern meine Laufkilometer für den Verein sowieso! zu Geld werden, wodurch im Rahmen der dadurch unterstützten Workshops beeinträchtigten Kindern wiederum Möglichkeiten zur Entfaltung geboten werden und meine Lauferei somit einen wirklich tieferen Sinn hat.

Natascha: Und wie geht sich das umfangreiche Training eigentlich bei Dir aus?
Martin: Ich betreibe den Ultralauf zwar ambitioniert, aber als reines Hobby neben einem zumindest 45-Wochenstunden-Job als Leiter Risikomanagement einer Fondsgesellschaft. Nur weil einige manchmal meinen, ich sei "Profi" - was mit den Bestleistungen eh nicht zusammenpasst - oder dass ich fürs Training Unterstützung vom Arbeitgeber bekäme - nein, auch das natürlich nicht, es ist ja mein Freizeitvergnügen, aber es ist toll, dass gesammelte Spenden aus meiner jährlichen Benefizaktion durch die gemeinnützige Stiftung des Konzerns verdoppelt werden! Die Trainingszeit bringe ich halt einfach auf, indem ich statt abends fernzuschauen oder Bier zu trinken eben laufen gehe. Leistungsmäßig würde ich mich übrigens als gutes Mitteldrittel in Österreich bezeichnen - der Trainingsumfang hält nicht ganz mit den Leistungen im Rennen mit, aber wenn einem das Training Spaß macht, ist das ja nix schlimmes :-) - aber so etwas ähnliches hast Du über Dich ja auch schon in Deinem Blog geschrieben, kannst das also wohl gut nachvollziehen.  
 

1 Kommentar:

  1. Motivationen, Anerkennung und Anfeuerung durch Szeneikonen (… höherwertiger als vom Zaungast mit Krügerl und Stelze?) sind freilich Labsal für den über Stunden vergenußzwergelten Körper samt trübgesichtetem Geist. Nix baut mich aber mehr auf, als Renates: „Du schaust furchtbar aus, hör auf, lass gut sein, fahren wir heim, …“; da krieg ich die dritte Luft und Beschleunigungszorn. So ein Interview wäre mir vor 10 Jahren unklar gewesen. Wie erklärt man sehbehinderten Farben, oder Tauben die Musik? Selbst wenn`s alle machen, ist die Empfindung subjektiv. Das Tun im sinnbehafteten Zweck steht jedoch über allen und macht Zweifel, Skepsis und Kritik entbehrlich. Bravo, Chapeau und glG --- Andy

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