Donnerstag, 1. Mai 2014

Das Beste kommt zum Schluss ...

Also dann, auf zum Bericht vom 24-Stundenlauf in Sárvár. Die Vorbereitung zu Sárvár findet sich ohnehin in den vorangegangenen Blog-Einträgen, daher wird das Proömium diesmal nicht zu lange ausfallen, sondern es bald zur Sache gehen (wer's glaubt ist selbst schuld ;-).

Trotz Regenerations- und Tapering-Phase verliefen die letzten Tage unmittelbar vor Sárvár leider nicht so ruhig wie erhofft. Einiger unerwarteter Stress in der Arbeit stand plötzlich noch an, kurzfristig wackelten sogar die zwei nötigen Urlaubstage Donnerstag & Freitag vor dem Lauf. Aber Dank der Unterstützung meiner Arbeitskollegen ließ sich das dann doch noch hinbiegen. Dennoch waren die Tage lang, die Nächte kurz und so richtig ausgeschlafen fühlte ich mich nie. Die Form selbst sollte gefühlsmäßig ähnlich jener vor dem letzten 24-Stundenlauf in Brugg sein. Aber das Wetter könnte mir laut Prognose einen ziemlichen Strich durch die Rechnung machen. Denn es war zunächst 24-Stunden-Dauerregen prognostiziert. Und das bei ungefähr 10 bis maximal 15°C. Alles andere als ideal für so ein Event, meine Zuversicht sank doch deutlich. In Anbetracht dieser Prognose also noch in letzter Sekunde wasserdichte Gore-Übersocken bestellt, um zu retten, was zu retten ist. In den Tagen vor Sárvár besserte sich dann aber die Prognose deutlich: nur mehr Samstag vormittag sollte es kurz leicht regnen, aber ansonsten trocken bleiben. Meine Zuversicht stieg wieder.

Hinsichtlich des Ablaufs der Veranstaltung war ich bestens informiert: die Homepage http://fussunk.gportal.hu/ selbst ist zwar zur Gänze in Ungarisch gehalten, Google-Translate hilft etwas, aber ein paar knifflige Punkte blieben doch offen. Allerdings stellte mir Réka vom Organisationskommittee alle Informationen (und noch einige Antworten auf Fragen meinerseits darüber hinaus) auch auf Englisch zur Verfügung.

Sárvár ist übrigens ein Ort mit ungefähr 15.000 Einwohnern. Die Attraktionen sind vor allem ein Thermalbad sowie eine von nur wenigen ungarischen Wasserburgen. Um genau diese Wasserburg herum wird auch die Strecke führen. Mit einer Länge von 1.030,73 Metern fast ident mit der Strecke in Brugg und somit betreuungstechnisch perfekt, man ist nie zu lange vom Basislager entfernt, selbst schleichend sollte nach spätestens 15 Minuten wieder Betreuung möglich sein. Auf die Strecke selbst hatte ich mich per Google-Street-View ja bereits eingestimmt (http://martin24h.blogspot.com/2014/04/visualisierung-ist-alles.html).

Als Betreuer stellten sich wieder Carola & Winfried zur Verfügung - hoffentlich bringe ich diesmal dann eine auch für die Betreuer zufriedenstellendere Leistung als in Brugg zusammen.

Am Donnerstag wurde also wieder die halbe Wohnung ins Wohnmobil verladen und am Freitag brach ich nach Sárvár auf. Sárvár liegt nur 125km von Wien entfernt, ist somit der geographisch näheste 24-Stundenlauf an dem ich bisher teilgenommen habe. Und wenn alles gut läuft, dann werde ich diesmal deutlich mehr Kilometer laufen als ich Anreisekilometer hatte.

So kam ich dann mittags in Sárvár an und wollte mich zunächst auf den Besucherparkplatz der Wasserburg stellen. Allerdings galt noch bis (vermeintlich) 13 Uhr eine Parkgebühr. Diese war zwar gering, jedoch in HUF-Münzen zu entrichten. Selbige hatte ich aber nicht. Also beschloss ich, noch die paar Minuten bis 13 Uhr die Strecke per Wohnmobil zu besichtigen und mich dann nach 13 Uhr auf den Parkplatz zu stellen. Während ich so um die Strecke kreiste, kam es mir dann: bis 13 Uhr war die Parkzeit für Samstag, aber für Freitag galt die Parkgebühr bis 17 Uhr wie ich dem Parkautomaten entnommen hatte. Hmmm, heute ist ja ... hmm, welcher Tag ist heute? Achja, erst Freitag ... der Verlust von Raum- und Zeitgefühl fing diesmal schon vor dem Start des 24-Stundenlaufs an :-O ... also nix mit Parken am Schlossparkplatz. Aber entlang der Strecke waren ohnehin genug Parkplätze frei. Also dann dort Parken und die mitgebrachten Tortelloni fürs Mittagessen zubereiten.

Nach dem Mittagessen musste ich nun endlich ein bisschen raus an die frische Luft. Hmmmm, so frisch fühlte sich die heute aber überhaupt nicht an. Es war irrsinnig schwül, meine Beine waren schwer, die ganz wenigen Höhenmeter (ca. 1-2 in Summe über die ganze Runde schätze ich) fühlten sich wie unerklimmbare Berge an und auch der teilweise raue Asphalt euphorisierte mich nicht gerade ... das kann ja was werden morgen.

Bei Start/Ziel bauten die Veranstalter schon fleißig ihre Infrastruktur (Zelte, Tonanlage, usw.) auf. Am Ende der "Race Center Area" war dann aber doch noch ein wenig Platz nicht belegt. Hmmm, sollte ich mich da einfach frech mit dem Wohnmobil hinparken? Ideal wäre es ja schon hinsichtlich der Betreuung. Na, ich probiere es einfach. Wenn es nicht passt, wi
rd schon jemand was sagen und mich vertreiben. So verging dann der restliche Nachmittag mit faulem Herumliegen im Wohnmobil. Ich hatte zwar diversen Lesestoff zur Ablenkung mit, konnte mich aber überhaupt nicht konzentrieren. Liegen und Dösen war deutlich angenehmer.

Ungarische Pasta
Kurz nach 18h kam dann auch Carola in Sárvár an und wir machten uns auf zur Startnummernabholung. Die lief sehr ruhig und entspannt ab. Eine Pasta-Party war auch inkludiert, wobei Réka mich schon "vorwarnte", dass es Hungarian-Style sein wird. Also Pasta mit Kartoffeln und scharfem Paprika. Klingt interessant. Der scharfe Paprika war dann gar nicht so prominent, die Pasta schmeckte sogar sehr gut. Um allerdings meinen Magen nicht schon vor dem Lauf zu verwirren (das war bekanntlich schon des öfteren das große Problem), hielt ich mich aber bei der Pasta zurück.

Nach der Pasta-Party rasch zurück ins Wohnmobil, noch die wichtigsten Sachen für morgen herrichten (Startnummer, Gewand) falls es aus irgendeinem Grund stressig werden sollte und dann ab ins Bett, ich werde meinen Schlaf brauchen. Das mit dem Schlaf klappte nur aufgrund der Nervosität leider nicht so ganz. Einerseits beunruhigte mich immer noch, ob wir ohnehin den Parkplatz behalten können oder dann morgen früh noch umparken müssten. Auch das Zelt war noch nicht aufgebaut, sollte aber möglichst gegenüber des Wohnmobils stehen. So schlief ich also recht unruhig und ab 5h30 war's gänzlich aus mit Schlafen. So weckte ich Carola und wir bauten kurz vor 6h das Zelt auf. Danach nochmals hinlegen für 45 Minuten bis 7h30. Mittlerweile erwachte Sárvár und es begann entlang der Strecke zu wuseln. Auch alle anderen Teilnehmer (in Summe ~200 verteilt über 6, 12, 24-Stundenlauf und ein paar wenige 12-Stunden-Vierer-Staffeln) trafen ein.

idealer Zeltplatz
Um kurz nach 8h dann wirklich etwas Stress. Unser Zelt stand auf einem Platz, den der Veranstalter brauchte, wir mussten es verlagern. Glücklicherweise war aber ein anderer Platz freigeworden und wir konnten das Zelt relativ einfach umpositionieren. Glück gehabt. Und eigentlich war dieser "neue" Platz dann ohnehin besser als der ursprüngliche.

Während es übrigens in der Nacht auch noch heftig geregnet hatte, so zeigte sich das Wetter nun von seiner besten Seite. Zwar etwas kühl, aber fürs Laufen ideal und vor allem trocken (und sonnig)! Die Regengefahr schien gebannt zu sein. Etwas unschlüssig war ich nur ob meiner Gewandwahl. Daher einmal eine Aufwärmrunde drehen. Dabei traf ich dann auch Winfried, der nun ebenfalls da war. Beim langsamen Laufen war mir doch etwas kühl, also ein etwas wärmeres Shirt anziehen und auch Start mit Handschuhen. Ich möchte meine Energie ja nicht fürs Warmhalten sondern fürs Fortbewegen nutzen.

Apropos langsam laufen: da hatte ich für diesmal eine neue Strategie geplant. Ich wollte mich am Puls orientieren und diesen möglichst unter 70% HFmax halten. Das hatte in der Vorbereitung bei dem 50-Kilometer-Lauf am Laufband ja ganz gut geklappt - auch wenn ich den nach Tempo und nicht nach Puls steuerte, aber Läufe danach hatten gezeigt, dass das damalige Tempo ziemlich an ~70% HFmax herankommt. Auch der Energiebedarf war bei dem Laufbandlauf recht gering. Sollte diese Strategie nicht klappen, dann könnte ich ja immer noch auf die Brugg-Strategie mit schnellerem Laufen und längeren Gehphasen umsteigen.

Und so war es dann auch schon 10 Uhr, der Startschuss fiel und das Feld setzte sich langsam in Bewegung. Auch ich trottete los. Die erste Runde hatte ich in knapp 6 Minuten erledigt, was einem Schnitt von 5:45min/km entsprach. Der Puls war exakt im geplanten Bereich, Laufen fühlte sich natürlich locker an, aber auch die Strecke war viel angenehmer und leichter als noch gestern beim Spazierengehen.


Impressionen von der Strecke
So ging es also einfach mal dahin, Rhythmus finden, Systeme anlaufen lassen. Runde für Runde absolvieren. Mein Kilometerschnitt pendelte sich so um die 6:00min/km ein. Hatte ich übrigens einmal behauptet, ich könnte nicht langsam laufen? Ich kann es offenbar doch und es fühlte sich auch rund an. Die Stimmung an der Strecke war auch fein, alle paar Meter hatten die Teilnehmer ihre Tische und Campingsessel aufgebaut - es war die klassische Ultralauf-Atmosphäre. Locker, entspannt, freundlich. Nur von den Anfeuerungen und Plaudereien verstand ich leider nichts.

Nach 1h50 begann dann langsam die erste Fütterung. Auch hinsichtlich der Ernährung wollte ich diesmal eher konzentrierter mehr essen (auch mit eventueller Sitzpause) und dazwischen Pause lassen. Dies in der Hoffnung, dass dann mein Magen nicht oder zumindest erst später rebellieren würde. Das klappte auch gut.

Klassisches Ultra-Basislager
Kurz vor der 4-Stundenmarke und nach 39 Kilometern dann die erste Sitzpause - es gab Nudelsuppe. Mmmmmhhhh, die war wirklich gut. Wieder voll mit Energie weiter.

In der Zwischenzeit - genau weiß ich es nicht mehr - waren auch Carolas Eltern zu Besuch gekommen und machten spazierend ihre Kilometer entlang der Strecke - und ich hatte endlich Anfeuerung, die ich verstand :-)

Nach 5h30 - mittlerweile hatte ich etwa 52.5 Kilometer erledigt - die nächste Sitzpause. Diesmal gab es Nudeln. Hm, nun ja, die waren nicht so ganz meines, aber ich bin ja nicht für ein Gourmet-Menü hier, sondern fürs Laufen. Und Energie gaben sie schon. Außerdem war mein Motto ja "Lächeln & Genießen" als Kurzform von "Go 24 hours without complaining (not even once). Then watch how your life starts changing." ... und es gab auch keinen Grund sich zu beschweren, alles lief rund, ich fühlte mich wohl, die Zeit verging wie im Flug, die Runde war jedes Mal auf ihre eigene Art abwechslungsreich. Einfach locker weiter, Spaß haben.

Nach 9h und etwa 85km wird's dann aber erstmals zäh. Energiemäßig fühle ich mich bestens, aber die Oberschenkelmuskulatur vorne ist das langsame Laufen nicht gewöhnt - woher auch? Meine langen Läufe habe ich ja auch fast alle in etwa 5:00-5:15min/km absolviert. Reaktion: die Muskulatur wird steif, jeder Schritt beginnt zu schmerzen. Na toll, habe ich diesmal die richtige Strategie gewählt, aber dafür falsch trainiert? Es scheint so :-(

Egal, das schöne am 24-Stundenlauf ist ja, es gibt auch Wiederauferstehungen, man muss nur geduldig bleiben. Also gebe ich der Muskulatur nach und beginne erstmals mit einer längeren Gehphase. Bisher bin ich bis auf wenige Schritte bei der Verpflegung alles langsam durchgelaufen. Zusätzlich reibt mir Carola die Muskulatur mit wärmender Traumasalbe ein und dann gibt's auch noch Massage mit dem Travel-Stick. All das hilft, die Muskulatur wird langsam wieder weich, das Gehen wird auch flotter, der MP3-Player mit der besten Play-List von Welt - vor Ort bei Start/Ziel wurde lustigerweise fast die gleiche Liste verwendet ;-) - kommt auch zum Einsatz und nach etwa 2.5km Gehen komme ich wieder ins Laufen.

Erste Krise überwunden - jippiiii!

Nach 10h45 knacke ich die 100km und bin voll im Plan Richtung meines Traumziels von 200+ Kilometern. Aber nach 11h geht es wieder los, die Oberschenkelmuskulatur meldet sich leider wieder. Also gleiche Prozedur wie vorhin, Gehen, Massage mit Travel-Stick, Traumasalbe. Und abermals funktioniert es, bald laufe ich wieder.

Nach 12 Stunden bin ich bei 110km. Das sollte eigentlich nach allen 24-Stundenlaufregeln (in der zweiten Hälfte 20 Kilometer weniger als in der ersten) für 200 Kilometer reichen. Wird das heute mein perfekter Tag?

Basislager bei Nacht
Naja, nach 13 Stunden sieht's dann nicht mehr so aus. Es wird nun richtig zäh, Oberschenkelmuskulatur wieder steif und diesmal hilft die Massage leider nicht. Aber egal, flottes Gehen ist möglich und trotz des nunmehr geringeren Tempos mache ich in der Altersklasse weiterhin Plätze gut. Den anderen dürfte es wohl noch schlechter gehen.

Nach 14 Stunden, es ist Mitternacht, beginnt unser Hochzeitstag. Ja, anstatt gemütlich in der Therme zu liegen, "feiern" wir das etwas anders ;-). Leider kann ich Carola aber nur einige wenige Laufschritte meinerseits schenken - an mehr ist derzeit nicht zu denken. Carola orakelt, dass ich noch später deutlich mehr Laufschritte machen werde. Ich glaube nicht wirklich daran, hoffe es aber sehr!


Labestation in der Nacht ...
... immer alles da!


 Langsam wird mir auch kälter und die Müdigkeit setzt mir knapp nach Mitternacht überraschend früh zu - normalerweise beginnt das Müdigkeitstief so richtig erst zwischen 2 und 3 Uhr früh. Ich ziehe immer mehr Gewand an, trage mindestens das Doppelte an mir wie alle anderen Teilnehmer. Seltsam, normalerweise bin ich ja nicht der Frier-Typ. So geht's bergab, ich schleiche immer langsamer um die Strecke. Nach 16 Stunden geht auch für eine Runde der Veranstalter mit mir mit. Ich hoffe nur, es ist ihm fad und nicht, dass ich so kaputt aussehe, dass er mich nicht alleine die Runde drehen lassen will. Jedenfalls möchte er mich aufbauen und redet auf ungarisch auf mich ein. Ich erkläre ihm, dass ich leider des Ungarischen nicht mächtig bin, aber Englisch oder Deutsch wäre gut. Das geht bei ihm leider nicht, aber Russki könnte er. Hm, mit meinen wenigen Slawisch-Kenntnissen bringe ich ein "Nema russki" hervor ... was er natürlich sehr lustig findet, weil ich kann doch eh russki :-) ... Jedenfalls lenkt auch das ab und wieder ist eine Runde geschafft.

Nachtwanderung
Somit bin ich bei 138km und 17 Stunden und plötzlich fängt mein Magen an zu zwicken. Ahja, stimmt. Da war ja bisher noch nix außer Pinkeln. Vielleicht liegt meine Schwäche ja auch daran. Also rein ins Womo, ab auf den Topf. Nachdem mir immer noch etwas kühl ist, tut sich da mal nix. Also Heizung voll aufdrehen, die Nasszelle (ca. 1.5m^2 Grundfläche) erwärmt sich natürlich sofort, der Darm wird lebendig ... das tut gut, weitere Details spare ich mir :-D

Ich fühle mich nun deutlich besser, der Kreislauf ist auch wieder besser drauf, mir ist auch wieder wärmer, ich kann Kleidungsschichten abwerfen. Laufen ist zwar leider weiterhin nicht möglich, aber das Gehen wird wieder deutlich flotter und ich beginne, mit meinem schnellen Gehen auch "Läufer" zu überholen.

Nach 18 Stunden rechne ich überschlagsmäßig: mit diesem Gehtempo wären zumindest noch die 180 Kilometer haarscharf drinnen. Zwar weit weg vom 200-Kilometer-Traumziel, aber 180+ klingt dann schon besser als 170+. Das geht aber nur, wenn ich fürs Essen keine Sitzpausen mehr einlege. Daher sage ich Winfried, dass ich jetzt nur mehr "kompaktes" Essen haben will, also Kekse, Soletti, Gels, Flüssignahrung. Alles, wofür ich nicht viel kauen muss und weiter flott in Bewegung bleiben kann.

Nach 20h und 155 Kilometern ist dann allerdings leider nochmals ein WC-Stopp erforderlich. Eigentlich nicht schlimm, nur mit den dafür nötigen Minuten ist die Chance auf die 180 Kilometer wohl dahin.


Betreuer schafft ...
... wieder einen Kilometer mehr
Jetzt habe ich mein erstes mentales Tief. Ich kann mein "Lächeln & Genießen"-Motto nicht mehr durchhalten, bin nur mehr müde, seeeehr müde, möchte mich hinlegen und aufgeben. Aber Carola redet auf mich ein, treibt mich weiter an. Ich fühle mich aber nur mehr wie ein Tier, das weiter gepeitscht wird. Ich beschwere mich, dass das menschenunwürdig ist. Carola stimmt mir zu, sagt mir aber auch, dass sie mich weitertreibt und hart bleibt, weil sie genau weiß, dass ich nachher dankbar dafür sein werde und mich ärgern würde, wenn ich jetzt aufhören würde. Ich glaube ihr nicht (auch wenn sie in allen Details zu 100% Recht hatte ... aber ich will nicht vorgreifen ;-), aber lasse mich weiter treiben. Schlau ist das vielleicht nicht, aber vom Aufhören dürfte ich selbst im tiefsten Inneren nicht ganz überzeugt sein, weil sonst würde ich ja einfach aufhören. Aber all das für eine minimale Verbesserung der bisherigen Bestleistung von 172,396 Kilometern? Weil jetzt ist es schon eine Qual. Meine Füße sind mittlerweile etwas aufgequollen, es fühlt sich an, wie wenn ich kleine Murmeln unter den Fußsohlen hätte, einige Scheuerstellen gibt's auch schon. Aber eigentlich ist mein Zustand nachträglich betrachtet gar nicht so schlecht - aber in dem Moment realisiere ich das leider nicht.

Nach 22 Stunden "übernimmt" mich wieder Winfried. Noch 7 Runden - also etwa 1h30 - brauche ich, um meine bisherige Bestleistung einzustellen. Wahnsinn, 1h30 soll ich noch so weiter machen? Naja, aber 7 Runden, das ist wenigstens ein Licht am Ende des Tunnels. Dieser Gedanke scheint mir zu helfen, ich texte Winfried massiv zu - ich weiß nicht mehr, was ich da alles gebrabbelt habe, aber es tut gut. Meine Rundenzeiten werden wieder etwas flotter. Carola wird wohl die interne Wette verlieren, bei wem als "Hauptbetreuer" ich jeweils die schnelleren Runden hatte. Das - erinnere ich mich - sage ich auch Winfried. Er meint nur, dass Carola das wohl verschmerzen wird können ;-). Ja, denke ich auch.

Noch 4 Runden bis zu einer neuen Bestleistung. Danach werde ich mich dann hinsetzen und vielleicht noch ein oder zwei Runden als Bonus drehen, aber anstrengen werde ich mich dann sicherlich nicht mehr.

Neue Bestleistung!
Nach 23 Stunden und 24 Minuten habe ich 168 Runden geschafft
und mit 173.2 Kilometer bin ich soweit gekommen wie noch nie innerhalb von 24 Stunden. Carola hat schon den Sessel für mich hergerichtet zum Feiern - zumindest denke ich das.

Hm, nein, jetzt setz' ich mich lieber doch nicht hin sondern mache gleich noch eine weitere Runde, damit die Bestleistung ganz sicherlich passt und nicht durch einen etwaigen Zählfehler oder sonst irgendwie es doch nicht reicht. Gut so, denn Carola sagte mir nachher, dass der Sessel zwar da stand, aber sie alles daran gesetzt hätte, dass ich ihn nicht benutze. Winfried ist aber etwas verblüfft - schließlich redete ich seit 3.5 Stunden nur vom Hinsetzen -, kommt mir noch für eine Runde hinterher und übergibt mich dann wieder für die letzten ca. 20 Minuten an Carola.

Groupies ...
Bei Start/Ziel bildet sich jetzt schon ein Spalier, welches die sich no
ch auf der Strecke befindenen "Helden" feiert. Allzuviele sind es übrigens nicht mehr von den etwa 80 angetretenen Startern beim 24-Stundenlauf, die immer noch ihre Runden drehen. Aber ich gehöre dazu!

Das motiviert und offenbar setzt auch das Erreichen einer neuen Bestleistung nochmals Kräfte frei. Statt 11 bis 12 Minuten schaffe ich die Runde plötzlich wieder unter 10 Minuten. Hm, da geht noch was, etwas Zeit habe ich auch noch. Ich "fliege" gefühlt dahin, überhole mit flottem Gehen auch wieder einige Mitläufer. Ich gehe teilweise so schnell, dass Carola bei der Begleitung ins Traben verfällt.

Nach 170 Runden und 175 Kilometern komme ich zur Hälfte von Runde 171 plötzlich wieder ins Laufen. Ich weiß nicht mehr wie, aber irgendetwas macht klick und ich laufe. Und ich laufe nicht irgendwie, ich laufe in unter 5:00min/km :-O - zumindest fühlt es sich so an. Und die Rundenzeit nach 176 Kilometern bestätigt es dann auch.

Jetzt nicht nachlassen, das macht Spaß, zeig' dem Publikum, was Du noch kannst. Runde 172 (Kilometer 177) laufe ich zur Gänze durch, die Auswertung nachher zeigt mir einen Schnitt von 4:29min/km. Ich realisiere dieses Tempo aber auch auf der Strecke. Warum hat der blöde Kopf die letzten Stunden bloß nicht wollen, offenbar ist ja noch was drinnen im Körper. Ich röhre jetzt vor Anstrengung, aber es geht. Die Blasen an den Füßen schmerzen, aber jetzt auch wurscht. Runde 172 geschafft. Noch knapp 5 Minuten Zeit. Geht sich da noch eine Runde aus? Gas geben, Vollgas geben. Bei der Hälfte der Runde geht mir kurz die Luft aus, einige Gehschritte, der Magen meldet sich, nein, bitte nicht jetzt ins Gebüsch ... Laufen, wenn ich laufe, dann wird der Magen sich beruhigen bzw. lahmgelegt, also wieder antraben, Gas, Vollgas.

30 Sekunden vor Schluss ist auch Runde 173 erledigt - in Schnitt 4:23min/km trotz kurzer Gehphase wird es meine schnellste der letzten 24 Stunden. Jetzt die 30 Sekunden nur mehr austrudeln, nicht zu weit vom Basislager weg den Lauf beenden und dann ertönt schon die Sirene. Geschafft, vorbei.

Nach 178,432 Kilometern sinke ich nun doch endlich in meinen Sessel - und jetzt lässt mich Carola auch :-D. Für die letzten Runden bekomme ich einiges an Gratulationen ... naja, hätte ich meine Kräfte doch etwas gleichmäßiger auf die letzten Stunden aufgeteilt, dann hätte das wohl mehr gebracht.
unmittelbar nach dem Hinsetzen
ein paar Sekunden später eine Art Lächeln


Aber immerhin weiß ich, dass ich es drauf habe, dass wohl nicht mehr viel fehlt, dass es endlich einmal richtig gut klappt. Bis auf 2h30 war es diesmal auch mental schon richtig gut. Der Magen hat keine Probleme gemacht, niedriges gleichmäßiges Tempo dürfte also das richtige für mich sein, ich müsste es nur noch gezielter trainieren. Wer hat also Vorschläge wie ein Tempo von 6:00min/km auch im Training spannend ist?

Alles in allem war das der bisher sicherlich beste 24-Stundenlauf was sowohl meine Leistung betrifft als auch die Veranstaltung selbst. Alle extrem freundlich, hilfsbereit (die Sprachbarriere wurde mit Händen, Füßen und allem was man noch hat überwunden), perfekte Strecke, perfektes Wetter, perfekte Versorgung (vieles von meinen Eigenvorräten habe ich wieder nachhause transportiert): ich kann Sárvár wirklich empfehlen!

Vielen Dank an dieser Stelle an Carola & Winfried, dass ihr euch wieder den Job der 24-Stundenbetreuung angetan habt! Ohne euch wäre ich nie so weit gekommen.

Danke an Réka für die Informationen vor dem Lauf!

Danke an Mirjana & Dieter für den Besuch und die Abwechslung an der Strecke.

Und danke allen für die große Motivation und die vielen Gespräche im Vorfeld des 24-Stundenlaufs!

Köszi, köszi, köszi!
Ausrasten ... viel Bewegen kann ich mich eh nicht mehr

Die Tage danach: bisher war ich noch nach keinem 24-Stundenlauf dann so fertig wie dieses Mal. Mein rechtes Knie war ein paar Tage leicht geschwollen (ich vermute einen gereizten Schleimbeutel), das Immunsystem kannte sich auch nicht ganz aus und reagierte mit kurzzeitigen Fieberschüben und die Müdigkeit trieb mich immer sehr früh ins Bett. Ich hatte mich wohl doch ordentlich angestrengt ;-)

Aber immerhin konnte ich ab Mittwoch mittags schon wieder normal gehen und es kommen auch schon langsam wieder Gedanken an leichtes Traben auf und was ich denn so beim 24-Stundenlauf in Irdning leisten werden könnte. Das wird aber eine andere Geschichte und im Mai wird jetzt weiter regeneriert und ein Leben ohne großes Training genossen.